Wenn am kommenden Sonntag Landtagswahl wäre…

So beginnen derzeit zahlreiche Umfragen, die landauf landab die Stimmung in unserem Land zu ergründen suchen. Und für unsere Politiker sieht es da nicht gut aus: Viele Menschen sind verärgert über handfeste oder aufgebauschte Skandale, offensichtliches oder vermeintliches Versagen, tatsächliche oder gefühlte Realitätsferne. Politikverdrossenheit macht sich breit.
Mir geht da eine Geschichte aus der Bibel nicht aus dem Kopf: Vor etwa 2.500 Jahren befand sich das Volk Israel in einer fürchterlichen Lage. Sein Land war von der damaligen Weltmacht Babylon erobert und die Menschen nach Babylon deportiert worden. Für sie war ihre politische und gesellschaftliche Lage, im Gegensatz zu unserer, tatsächlich katastrophal.
Mitten in diese ausweglose Situation hinein erreicht die Verzweifelten eine Botschaft von Gott. Die Botschaft enthält keinen Aufruf zum Aufstand oder passiven Widerstand, keine Ankündigung der baldigen Rettung, noch nicht einmal Durchhalteparolen. Vielmehr fordert Gott sein Volk auf: „Bemüht euch um das Wohl der Stadt, in die ich euch wegführen ließ, und betet für sie. Wenn es ihr gut geht, wird es auch euch gut gehen.“ Mit „Wohl“ ist hier das alte hebräische Wort „Shalom“ wiedergegeben, das dem Grunde nach „Friede“ bedeutet, aber weitergehend verstanden werden will: Es beschreibt einen umfassenden Zustand von Glück und Wohlergehen des Einzelnen und der Gemeinschaft, der aus der Beziehung mit Gott hervorgeht.
Wenn das die Perspektive des Volkes Israel für ein fremdes Land sein sollte, um wieviel mehr bin ich aufgefordert, mich um das Wohl des Gemeinwesens zu bemühen und zu beten, auch wenn in meinem Land nicht alles so läuft, wie ich es mir vorstelle. Ein spannender Zweiklang, denn Handeln fällt mir oft leichter als Beten: Beten, das tut man doch erst dann, wenn nichts anderes mehr hilft. Wenn wir mit unseren Möglichkeiten am Ende sind. 
Aber eigentlich ahnen wir im Hinblick auf die komplexen Probleme unserer Zeit, dass unser Bemühen allein nicht ausreicht. Mir fällt folgender Spruch ein, der an manch älterem Bauernhof zu finden ist: „An Gottes Segen ist alles gelegen“. Alles. Segen ist alles Gute, das Gott einem Menschen schenkt. Bei allem, was ich selbst tun kann, habe ich mein Wohlergehen und das der anderen nicht selbst in der Hand. 
Ich bin dankbar für die, die sich an herausgehobener Position um das Wohl in unserem Land bemühen – als Bürgermeister, Ministerpräsident, Stadträtin oder Abgeordnete. Viele andere sind kaum sichtbar in ihrem Handeln – und gleichermaßen gefordert, sich mitten im Alltag um Glück und Wohlergehen des Einzelnen und der Gemeinschaft zu bemühen.
Wir haben am kommenden Sonntag, nein, heute schon die Wahl: Wie wäre es, im stillen Kämmerlein oder im Gottesdienst unser menschliches Bemühen zu verknüpfen mit dem Gebet für das Wohl unserer Stadt und unseres Landes. Ich glaube, dass dieser Zweiklang für unser Land zum Segen wird. 
Ihr Martin Schellenberger
(Vorsitzender der Evangelischen Allianz Erlangen)
 

Dr. Martin Schellenberger

Dr. Martin Schellenberger
Vorsitzender der Evangelischen Allianz Erlangen