Ein wunderbarer Moment - Semmeln an der Laterne

Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. (Mt 18,3)

Kinder – wie die Zeit vergeht. Die Sommerferien sind schon fast wieder zu Ende. Für manche kommen nun große neue Schritte – Kinderkrippe, Kindergarten, der erste Schultag. Was wird es da für große, staunende Augen geben. So viel Neues, so viel Aufregendes – nicht nur für die Kindern, sondern auch für die Eltern und Großeltern. Für andere ist der September aber ganz normal. Arbeit, Familie, Alltag – alles ganz normal, alles ganz alltäglich. Was Neues ist hier nicht zu erwarten. Oder vielleicht doch? Was steht bei Ihnen Neues an? Eine neue Arbeit, vielleicht sogar ein neuer Wohnort? Oder hat sich etwas in Ihrem Leben verändert?

Jesus ruft uns zu: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Werdet wie die Kinder – dann kommt ihr ins Himmelreich, so positiv formuliert.
Ich glaube, es ist manchmal, gerade im so alltäglichen Alltag, gut, wenn ich erinnert werde: Schau Dich mal so um, wie das ein Kind macht – ganz unvoreingenommen, ganz frei von irgendwelchen Prägungen oder Vorgaben. Dann fallen mir Dinge auf, die ich sonst übersehe, weil ich so in meinem „Alltagsblick“ drin bin – z.B. eine besonders schöne Hausfassaden oder ein faszinierender Baum mit seinem Lichtspiel in der Sonne.
Manchmal muss ich aber von jemand anderen daran erinnert werden: Neulich habe ich mein Fahrrad aufgesperrt, da hielt ein Mann neben mir und sagte: „Schauen Sie mal, da oben an der Laternenleine hängen Semmeln.“ Ich hab gar nicht hochgeschaut, sondern – während ich mein Fahrrad aufsperrte – gesagt: „Nein, nein, das sind Schuhe, die haben die WG-Bewohner dahin gehängt.“ „Ja, die hängen da auch, aber schauen Sie doch – jetzt hängen da auch Semmeln“. Ich blickte hoch. Ich staunte. Und lachte. Tatsächlich – neben den Schuhen baumeln nun zwei Semmeln, irgendwie an einer Schnur befestigt, und irgendwie auf die Laternenleine geworfen. Der Mann und ich lachten beide, er sagt noch: „Das ist ja ein lustiger Sport“ und wünschte mir einen schönen Tag und radelte davon. Ich stieg lachend auf mein Fahrrad.
Werdet wie die Kinder – ruft uns Jesus zu. Dann kommt ihr ins Himmelreich. Ich habe das Gefühl: Manchmal ist das Himmelreich ganz nah, ganz irdisch: Indem mich ein Fremder zu Lachen bringt, weil uns etwas Seltsames auffällt.
Mit oder ohne Hilfe – Dinge entdecken, neu oder anders wahrnehmen, das verändert den Alltag, das verändert den eigenen, manchmal ja ganz starr gewordenen Blick. Es kann mir helfen, Dinge wahrzunehmen, die ich sonst übersehe oder mit anderen ins Gespräch zu kommen.
Manchmal können das Semmeln sein, die auf einer Leine über der Straße baumeln, auf die mich ein Fremder hinweist. Danke für diesen wunderbaren Moment.

Ihre Pfarrerin Dr. Nina Mützlitz
 

Nina Mützlitz
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Autorin/Autor:
Pfarrerin Dr. Nina Mützlitz
Evang. Luth. Kirchengemeinde Herzogenaurach
11.09.2021 (Woche 36/21)