Spritze im Stiefel?

Wie gerne würde ich Ihnen eine Spritze in den Stiefel packen, in der Nacht zum Sonntag. Damit Sie am Nikolaustag aufwachen und etwas finden, das Not lindert, ganz wie es zum Nikolaus passt. In der Spritze wäre natürlich ein Impfstoff gegen das Corona-Virus. Oder, noch besser: Ich packe Ihnen ein Stückchen Schokolade als Schluckimpfung hinein. Das erspart Ihnen den Piks. Stattdessen gäbe es einen gesunden süßen Kick am Morgen.
Als Krankenhausseelsorger erträume ich mir das manchmal: Dass wieder jemand kommt wie Nikolaus, oder, besser noch, wie Jesus. Das passt gut in den Advent: Warten auf jemanden, der - oder die! - selbstlos lebt, die Nöte seiner, ihrer Mitmenschen sieht und wirksam etwas dagegen unternimmt. Der mit Gott an seiner Seite sogar Wunder vollbringen kann. Ganz, wie es die Legenden Nikolaus und die Bibel Jesus zuschreiben. Lahme gehen, Blinde sehen, Krebs verschwindet und die Demenz, die können wir vergessen.
Wenn ich dann die Augen aufmache, in „meiner“ Uniklinik, oder in den Straßen unserer Stadt, dann sehe ich: Es sind so viele Frauen und Männer tagtäglich nikolausmäßig unterwegs. Allerdings ranken sich keine Legenden um sie. Krankenschwestern, Pfleger, Ärztinnen, Ärzte, Erzieher*innen, Verwaltungskräfte, Lehrer*innen, Eltern, Politiker*innen, Sporttrainer*innen … Wie lang darf das hier jetzt werden? Ich breche die Aufzählung ab. Denn ich kriege sie gar nicht alle unter: Alle, die freiwillig etwas hergeben von ihrer Kraft, ihrem Verstand, ihrem Besitz, um anderen zu helfen. Dazu zählen auch die Profihelfer*innen.
Ob wirklich unsere Politiker*innen auf den Spuren des Heiligen wandeln? Kann man Sie in einem Atemzug nennen mit Flüchtlingshelfer*innen und den Ehrenamtlichen, die die Tafel am Laufen halten? Da komme ich dann doch ins Grübeln. Und entscheide mich: Dafür. Wenn ich den Nimbus weglasse, die Heiligengloriole; wenn ich sehe, dass es geht darum, sich nach Kräften für andere und die Gemeinschaft einzusetzen, dann sind sie mit dabei, wann immer sie das tun.
Die Welt, die sei so schlecht, singt die Klage der Frommen seit Jahrhunderten. Die Jugend verdorben, das sowieso. Die Erwachsenen? Alles vom Glauben abgekommene, SUV-fahrende Egomanen! Ich kann dieser Klage nicht zustimmen. Denn die Erinnerung an den heiliggesprochenen Bischof von Myra lässt mich sehen, wie viele Nachfolger*innen in tätiger Nächstenliebe er gefunden hat. 
Ich weiß, bei uns ist nicht alles gut; erst recht nicht in den Ländern der Einen Welt. Da ist sehr, sehr viel Luft nach oben. In der Nachbarschaft, in der Flüchtlingshilfe, der Entwicklungshilfe, eigentlich fast überall. Lassen wir uns davon doch einfach anregen: Für den „Nikolaus in uns“ gibt es immer etwas zu beten und zu tun. Und beides wirkt.

Frank Nie

Autorin/Autor:
Pfarrer Frank Nie
Evangelische Klinikseelsorge am Universitätsklinikum Erlangen
05.12.2020 (Woche 49/20)