Himmel und Erde - Wie können wir uns freuen?

Wenn ich in meinem Arbeitszimmer daheim an meinem Schreibtisch sitze (beim freiwilligen Home-Office) und an meine Pinwand schaue, dann fällt mein Blick immer wieder mal auf einen kleinen, schon etwas vergilbten Zettel. Mein Sohn hat ihn mir einst - als er zur Grundschule ging und gerade das Schreiben gelernt hatte – geschrieben: „Lieber Papa, ich wünsche dir viel freuten.“ so steht auf diesem kleinen Stück Papier. Sicher können Sie verstehen, dass ich immer wieder mal zwischendurch auf diesen kleinen Notizzettel schaue; auf den Satz, der mir damals schon viel Freude gemacht hat, und der mir auch heute noch gut tut: „Papa, ich wünsche dir viel freuten.“
Auch während der Vorbereitung auf den 3. Advent kam mir dieser kleine Zettel - passend und zur rechten Zeit - wieder in den Blick, feiern wir doch an diesem Wochenende in der katholischen wie auch in der evangelischen Kirche den sog. „Gaudete-Sonntag“. Mit dem lateinischen Wort „Gaudete“ - zu deutsch: „Freuet Euch!“- ist nämlich traditionell dieser Sonntag überschrieben.
Weihnachten, das Fest der Geburt Jesu, rückt immer näher und so ist am 3. Advent schon eine gewisse Vorfreude auf Jesus, den Retter und Erlöser, zu spüren. Und die Vorfreude ist ja – so sagen manche sogar – oft die schönste Freude.
Von der Freude und von Hoffnung erzählen uns viele biblische Texte des Advents, wenn es da beim Profeten Jesaja z.B. bildhaft heißt: „Die Wüste und das trockene Land sollen sich freuen, die Steppe soll jubeln und blühen.“ Oder wenn der Apostel Paulus sagt - und damit das Motto für diesen Sonntag vorgibt: „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch!“
Wie sollen wir uns aber freuen in einer Zeit der Corona-Pandemie, in einer Zeit mit immer höheren Infektionszahlen und zunehmenden Einschränkungen, mit Maßnahmen, die sicher notwendig, aber dennoch bedrückend und für viele Menschen belastend sind?
Wie sollen sich jene Menschen freuen, denen es auch sonst nicht gut geht, die ganz persönliche Sorgen haben und unglücklich sind, die krank und hilflos sind oder einen lieben Menschen verloren haben. 
Wie sollen und können sich jene freuen, die sich benachteiligt oder ausgegrenzt fühlen, die unter Ungerechtigkeit, Verfolgung, Gewalt oder Krieg in der ganzen Welt leiden und kaum Hoffnung auf Veränderung haben?
Solche unbefriedigenden, scheinbar hoffnungs- und ausweglosen Situationen gibt es in der Politik und in der Wirtschaft, in der Gesellschaft und der Kirche, und natürlich auch im persönlichen, privaten Bereich, wo Streit und Konflikte, Ängste und Aggressionen, Verzweiflung, Wut und Spannungen der Freude und der Hoffnung keinen Platz lassen. 

Freude, Hoffnung und Zuversicht lassen sich nun mal nicht mit einem Knopfdruck oder mit einem Code so einfach herstellen und erzeugen. Da braucht es mehr, zumal wenn es um jene tiefere Freude geht, von der die Bibel, die „Frohe Botschaft“ spricht. Da braucht es ein großes Vertrauen auf jemand, der uns – egal, wie unsere Lebenssituation auch sein mag - stets zur Seite steht! - diese innere Überzeugung, einen Glauben, dass ich letztlich nicht alleingelassen bin, dass jemand für mich da ist! 
Die bildhaften Verheißungen des Advents, die Verheißungen Gottes besagen ja nicht, dass plötzlich alles Negative, alles Leid, alle Not wie weggewischt sind. Sowohl der Profet Jesaja wie auch der Apostel Paulus schrieben ihre Worte in einer ebenfalls bedrückenden Zeit, letzterer saß da sogar im Gefängnis.
Ihr festes Vertrauen auf Gottes Hilfe lässt sie von Freude, Hoffnung und Zuversicht reden!
Darum wissend, dass unser Leben und das Zusammenleben der Menschen geprägt ist von „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ (wie es das Konzilsdokument „Gaudium et spes“ formuliert), können und dürfen wir auch in diesen Tagen (ohne dass wir deshalb Trauer und Angst ausblenden) von der Freude reden - davon, worüber wir uns freuen, was uns glücklich und zufrieden macht - und auch von der Freude, die wir anderen schenken: das kann in Zeiten von Corona ein Telefonat oder ein kleiner, kurzer Plausch am Gartenzaun sein (natürlich mit dem gebührenden Abstand!), das kann in der Nachbarschaft die Unterstützung oder Hilfe bei Besorgungen sein (wie sie erfreulich oft schon geschieht) oder auch eine „Briefe-Aktion“ in der Weihnachtszeit, wie sie eine Gruppe aus unserer Gemeinde initiiert hat, u.v.m. Solche und ähnliche Solidaritätsaktionen zeigen beispielhaft, wie wir gemeinschaftlich diese Pandemie-Zeit durchstehen können - und wie wir damit zugleich einander Freude bereiten können…
So wünsche ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser „viel freuten“ in der Advents- und Weihnachtszeit!

Leo Klinger

Autorin/Autor:
Pastoralreferent Leo Klinger
St. Heinrich
13.12.2020 (Woche 50/20)