Jesus mahnte: An den Früchten werdet ihr sie erkennen! Mt 7,16 

Dies ist die richtige Zwischenpostion zwischen zwei Straßengräben: Manche, die von ihrer Religion, ihrem Glauben, ihrer Auslegung überzeugt sind, glauben, dass ihr Weg 100 Prozent zum Guten führt. Und extreme Kritiker der Religionen behaupten, dass die großen Religionen wie z. B. Christentum und Islam nur Unfrieden hervorgebracht haben.
Jesus dagegen sagt uns mit dem Satz: Das kann man im Vornherein nicht allgemein gültig beurteilen. 
Manche Menschen glauben, sie haben den richtigen Glauben - und wenn man sie dann betrachtet, merkt man, dass sie eher Unfrieden als Frieden bringen. Und dieses Phänomen kennen wir von jeder Religion. Jesus kritisierte die Pharisäer, die glaubten, sie hätten die wahre Religion, und wies an ihren vertrockneten Früchten nach, dass auch ihr Glaube nicht mehr so lebendig ist.
Die christliche Religion hat vielen Menschen Frieden gebracht, die Benachteiligten unterstützt, die Schwachen gestärkt, die Menschen zusammengehalten, die Liebe zu Gott gefördert. Aber die christliche Religion hat auch immer wieder genau das Gegenteil bewirkt. Ein Heiliger wie Bernhard von Clairvaux hat sogar zum Kreuzzug aufgerufen. 
Das gilt anscheinend für jede Religion und jeden spirituellen oder therapeutischen Weg: Manche westliche Aussteiger dachten, dass der Buddhismus vor dieser Ambivalenz gefeit sein. Sie dachten, der Buddhismus würde immer sicher zu mehr Frieden im eigenen Herzen und unter die Menschen führen. Aber auch der Buddhismus ist vor missratenen Früchten nicht gefeit. Im II. Weltkrieg empfahlen buddhistische Zenmeister ihren Schülern, die als Flieger in der Armee dienten, die klare Konzentration, die durch die Meditation entsteht, auszunutzen, um zielsicher Bomben abzuwerfen. 
Deswegen empfahl Paulus die Unterscheidung der Geister: Prüft alles und behaltet das Gute! 1. Thess 5,21 Dafür möchte ich drei Prüffragen anbieten:
1. Bewirkt der spirituelle oder religiöse Weg, dass ich in meinem offenen Interesse für meine Mitmenschen wachse bzw. wach bleibe? Bin ich immer wieder bereit, interessiert dem anderen zuzuhören, ihm emphatisch zuzuhören? Oder bin ich so überzeugt von meinem religiösen Weg, dass ich zwar sehr gerne anderen "predige", aber zu wenig zuhöre. 
2. Bewirkt der spirituelle oder religiöse Weg, dass ich ein bescheidenes Selbstverhältnis zu mir entwickle? Paulus wusste: Wenn ich meine eigene Ohnmacht und Schwäche annehme, dann kann die Gnade Gottes in mir wachsen. Wenn ich dagegen wie die Pharisäer von mir selbst völlig überzeugt bin, dann bin ich nicht mehr lernbereit, dann wird es für den Heiligen Geist schwierig...
3. Wird die religiöse Lehre so präsentiert, dass sie der wahre Weg ist und ansonsten gibt es keinen einzigen anderen wahren Weg? Oder wird die religiöse Lehre auch als offene Lehre präsentiert, so dass man auch durch andere Wege und andere Sichtweisen bereichert werden kann?
Was für eine Herausforderung! Wir können nie sagen: Jetzt bin ich auf dem richtigen Weg, jetzt habe ich den wahren Glauben! Jesus wusste das. Deswegen mahnte er zur Wachsamkeit und empfahl:
An den Früchten werdet ihr sie erkennen!

Dekan Michael Pflaum
 

kath. Dekan Dr. Michael Pflaum
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Autorin/Autor:
Dekan Dr. Michael Pflaum
Kath. Dekanat Erlangen
04.09.2021 (Woche 35/21)