Jeder Tag fängt neu an und hat seine Überraschungen

Über jeden Sonnenstrahl freuen, mal wieder bewusst durchatmen und so schon mit viel besserer Laune den Tag beginnen

Manchmal ist mir zumute, da könnte ich Bäume ausreißen. So ging es mir oft in den letzten Tagen, wenn ich am Morgen aufwachte; blauer Himmel und strahlend aufgehende Sonne.   An einem andern Tag ärgert mich alles – schon am frühen Morgen. Wenn ich nur die Kraft hätte, ich würde diese Welt total verändern. Aber was kann ich schon machen? Es nützt doch nichts! 
So erlebe ich jeden Morgen anders. Einmal voller Freude und Erwartung, ich will etwas gestalten und genießen; ein andermal mit Angst und Unsicherheit: was wird wohl heute alles auf mich zukommen? Jeder Tag fängt neu an und hat seine Überraschungen. Wie ich damit umgehe, hängt allerdings sehr stark von mir ab. 
Es spielt eine große Rolle, unter oder mit welchem Blickwinkel ich vieles sehe. Da gibt es den Blickwinkel von außen nach innen. Es gibt Dinge um mich herum, auf die ich gar keinen Einfluss habe. Ich kann nichts machen, wenn  jemand in der Familie schwer krank, mein Arbeitsvertrag gekündigt wird oder mir jemand die Vorfahrt nimmt. Da bin ich oft machtlos. 
Da gibt es aber auch den anderen Blickwinkel, den von innen nach außen. Mir wird etwas zugemutet und ich sehe darin eine großartige Herausforderung. Da kommt ein Problem und ich sage: Wunderbar, da ist meine Phantasie und meine Kreativität gefordert. 
Ich bin überzeugt, wenn wir unser Leben gut erhalten, da und dort auch etwas bewirken wollen, ist entscheidend die positive, vertrauensvolle Grundeinstellung, mit der ich an dieses Leben herangehe. Immer noch gilt eine Bemerkung von Jörg Zink, dass ein Wort über unsere Erde zuallererst mit einem Dank oder besser mit einer Liebeserklärung beginnen muss. Zuerst muss ich die Schönheit dieser Schöpfung, ihre Kraft und Zartheit, sowie die Weisheit, die in sie gelegt ist, erspüren. Dann kann ich auch von der Abgründigkeit reden, die in allem steckt. 
Ändern kann ich nur, was ich liebe. Will ich also in dieser Welt etwas ändern, will ich aufstehen gegen Zerstörung oder Unrecht, dann muss all meinem Tun die Zuneigung, die Liebe zu dieser Schöpfung vorausgehen. 
Als Mensch bin ich eingebunden in das Wurzelwerk der Schöpfung, Wer die Welt ausbeutet, beutet den Menschen aus. Wir spüren ja immer wieder, wie die Verwüstung unserer Erde sich widerspiegelt in einer Verwüstung des Menschen, seiner Gefühle und seiner Werte. Und dieses Elend kann kein Wohlstand und kein Wirtschaftswachstum ausgleichen. 
Da ist es kein Wunder, dass ich mich über jeden Sonnenstrahl freue, mal wieder bewusst durchatme und so schon mit viel besserer Laune den Tag beginne.

Richard Winter O.Carm.

Autorin/Autor:
Pfarrer Richard Winter
Karmelit Hl. Kreuz
19.06.2021 (Woche 24/21)