Der achte Tag der Schöpfung

Was für einen Mai haben wir 2022 erlebt? Licht, Wärme und Regen in Fülle haben Pflanzen wachsen lassen. Blüten über Blüten und auch Vögel, Hasen und Rehe freuen sich über die neu gewonnene Pracht. Die gleichen Kräfte haben es auch kräftig Donnern lassen, Keller sind vollgelaufen und in Teilen des Landes haben Tornados große Schäden angerichtet. In Spanien, Frankreich oder Indien werden Hitzerekorde gebrochen und Dürre bedroht die Jahresernte. 
Von solchen Kräften singen alte Kirchenliede. Im Lied „Geh aus, mein Herz, und suche Freud“ heißt es in der siebten Strophe: Der Weizen wächset mit Gewalt. Die Kräfte der Schöpfung bringen Fülle, wirken aber auch zerstörerisch. Wenn wir in der Kirche über Gotts Schöpfung sprechen – als Sieben-Tages-Werk, über die Entstehung von Tieren und Menschen, Mann und Frau und den Einzug der Sünde, oder auch den Schöpfer im Erntedankpsalm 104 für all seine Werke loben und preisen - dann sind das literarische Momentaufnahmen. Sie passen nicht mehr ganz zu dem Bild, das wir in Zeiten des Klimawandels von der Schöpfung gewinnen und vermittelt bekommen. Wir erfahren seit einigen Jahren am eigenen Leib, wie zerstörerisch sich die menschliche Dominanz über Gottes Schöpfung auf uns selbst und auf viele Tier- und Pflanzenarten auswirkt.
Gott beauftragt den Menschen damit, seine Schöpfung zu bewahren. Nach christlichem Verständnis gehört dieser Auftrag zum Menschsein. Das bedeutet nicht, dass alles bleibt, wie es war. Vielmehr geschieht im Werden und Vergehen der Schöpfung auch eine Erneuerung. Was wir im Frühjahr erleben, verbinden die Propheten des Alten Testaments mit dem Eintreten für den Frieden und für ein gerechtes Zusammenleben. Auch das gehört zu Gottes Schöpfung. Und wenn sie nicht bewahrt wird, sondern außer Balance gerät, dann führt es zu Verwüstung, Ausbeutung, Krieg, Dürre oder Hochwasser. Die Schöpfung bewahren heißt nicht, den einmal gepflanzten Garten bis zum Sankt Nimmerleinstag zu hegen.
Die Schöpfung geht weiter. Mit dem Ostersonntag, an dem Jesus Christus aufersteht von den Toten, hat der achte Tag der Schöpfung begonnen. Gott macht alles neu! Er fordert uns Menschen auf mitzuwirken an der Erneuerung der Schöpfung. Neuschöpfung heißt nicht nur, die allgemeine Regeneration der Natur passiv staunend wahrzunehmen, sondern aktiv beizutragen, dass die Regeneration geschieht: sich aktiv erholen, neue Ideen entwickeln und auch politisch für Regeln eintreten, die das Überleben von Menschen, Tieren, Pflanzen, der Erde und des Universums in all seiner Vielfalt sichern.
Gott ruft uns allen zu: Macht mit! Werdet zu Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern! Bekämpft Unrecht, stiftet Frieden und macht aus Wüsten wieder Gärten! Das sind die Werke der Neuschöpfung. Das ist Gottes Sache, und er will, dass wir sie mit ihm zusammen vorantreiben.
Pfr. Dr. Gunther Barth
 

Dr. Gunther Barth, Pfarrer
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Pfr. Dr. Gunther Barth

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