„Bitte antworten Sie mir nicht“

„Jetzt muss man miteinander reden, das erhoffe ich mir“, so sagte eine russische Passantin im Radio-Interview, als die Truppen an der ukrainisischen Grenze zusammengezogen wurden. Doch wenige Tage später flogen Raketen und rollten Panzer. 

Die Zeit des Redens scheint in der Ukraine vorbei zu sein. Waffengewalt schafft neue Realitäten. Bittere Realitäten, wie man sie sich noch vor Kurzem nicht hätte vorstellen mögen. Kann man angesichts dessen noch Hoffnungen auf Worte setzen? 

Die Zeit des Redens – ist sie nicht auch bei uns schon vorbei? Zwar werden viele Worte gemacht. Nahezu überall wird wortreich bewertet, geurteilt und verurteilt: In den sozialen Netzwerken, auf der Straße und vielleicht sogar am eigenen Kaffeetisch. Aber wird miteinander geredet?

„Bitte antworten Sie mir nicht“, hieß es in einer Zuschrift, die ich vor einiger Zeit erhalten habe. Ein Dialog, ein Meinungsaustausch war nicht mehr gefragt. Keine Begegnung auf Augenhöhe, keine Verständigung.

Worte suchen für ein Gespräch? Was soll das bringen – wenn sich jeder seiner Meinung längst sicher ist, überzeugt von seiner eigenen Wahrheit. Wenn die andere Seite immer die ist, die lügt. Dann ist doch jedes Wort verschwendet. Welche Chancen können Worte da noch haben?

Und doch heißt es im Johannes-Evangelium: „Im Anfang war das Wort“. 
Ein Wort, ein einziges Wort, steht am Anfang. Ein einziges Wort trägt die Kraft einer neuen Schöpfung in sich. Einer Schöpfung, von der es in der Bibel heißt: sie war sehr gut! 

Da ist eine Ahnung, dass mit einem Wort etwas beginnen kann. 
Da ist die Hoffnung, dass ein Wort einen Unterschied machen kann. 
Da ist das Vertrauen, dass ein Wort gut sein kann. 

Ist die Zeit des Redens vorbei? Nicht, wenn wir immer wieder Worte suchen. Worte suchen miteinander, auch gegen allen Augenschein. Wenn wir nicht müde werden in der Hoffnung. Hoffnung, weil schon einmal in einem Wort der Anfang war. 

Eine solche Hoffnung, um immer wieder Worte und Begegnungen zu suchen und zu finden wünscht Ihnen 

Ihre Julia Illner, Pfarrerin in Eckental-Forth und Leitung von BildungEvangelisch Erlangen
 

Dr. Julia Illner
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Pfarrerin Dr. Julia Illner
Pfarrerin in Eckental-Forth und Leitung von BildungEvangelisch