Missbrauchsskandal und kein Ende….. – wie damit umgehen?

Beide große Kirchen erleben derzeit einen Mitgliederschwund, der seinesgleichen sucht. In meiner, der katholischen Kirche, ist die Lage prekär. Denn längst nicht mehr nur ihre Gegnerinnen und Gegner, sondern auch die eigenen Gläubigen kehren ihr den Rücken. Regelmäßig liest man - auch hier in dieser Zeitung - von unfassbaren Missbrauchstaten durch Kleriker und von ihrem systematischem Vertuschen durch die Hierarchie. Wer unter diesen Umständen lediglich von einer „Krise der Kirche“ spricht, verharmlost das Monströse, das unzähligen Kindern und Jugendlichen widerfahren ist. Das Menschenrechtsverbrechen und vor allem der Umgang damit macht nicht nur sprachlos. Es führt auch dazu, dass alles, was es über Gott und die christliche Religion zu sagen gibt, dass all das Gute, was in der Kirche durch Ehrenamtliche und engagierte Seelsorger*innen geschieht, kontaminiert ist. Der Kirche wird nicht mehr geglaubt – indes, für eine Institution, die darauf angewiesen ist, dass ihr geglaubt wird, ist das der Super-Gau. Es wird Generationen dauern, bis das überwunden ist.
Was jedoch viel schwerer wiegt und was auf keinen Fall passieren darf, ist, dass die Sprachlosigkeit, die dieser Skandal verursacht, Christinnen und Christen verstummen lässt und lähmt. Und was wir nicht zulassen dürfen ist, dass es uns mit der Sprache auch den Glauben verschlägt. Denn es kann sich niemand wünschen, dass die christliche Religion und ihre Werte aus der Gesellschaft verschwinden. Schließlich geht es der christlichen Religion um etwas, das größer ist als die Kirche. Es geht ihr um etwas unschlagbar Gutes: um universale Gerechtigkeit, um die Würde des Menschen, um die Bewahrung der Schöpfung und um den Wert jeder einzelnen Person. Dieser Glaube gehört zum kulturellen Bewusstsein unserer Geschichte, das seine Grundlagen letztlich im europäischen Denken hat und das die Würde der menschlichen Person hervorgebracht hat. Diese Würde meint auch, dass wir Menschen die Fähigkeit besitzen, Recht und Unrecht zu unterscheiden, dass jeder Mensch einen inneren Kompass hat, mit dem er/sie die goldene Regel beherzigen kann: „Alles, was du willst, das man dir tut, das tue auch dem anderen.“
In der kommenden Woche begehen wir den Tag des Grundgesetzes, für das die Würde des Menschen ein Schlüsselwort ist. Und vielleicht ist es ja die Ironie der Geschichte, dass die katholische Kirche eine Chance nur dann hat, wenn sie sich nüchtern und reumütig eingesteht, dass der selbstgerechte Klerikalismus überwunden werden und dass sie in Sachen Menschenrechte endlich ihre Defizite abbauen muss. Anders ist das mit der Glaubwürdigkeit nicht zu machen. Und anders lässt sich Pfingsten nicht feiern, jenes Fest, das sich in der nächsten Woche ankündigt und die Kirche an ihren Neustart erinnert aus dem Geist der selbstrelativierenden Demut und des Vertrauens.

Dr. Monika Tremel

Offene Tür Erlangen
Dr. Monika Tremel, Geschäftsführende Leiterin
Kath. Kirchenplatz 2
91054 Erlangen

www.offene-tuer-erlangen.de