Weihnachten heute heißt: Lasst uns die Würde des Menschen retten!

Ich weiß nicht, ob Sie Christ*in sind, ob Sie einer Religionsgemeinschaft angehören, oder sich überhaupt als religiös bezeichnen? Indes, ich vermute, dass Sie Weihnachten feiern, anders als sonst, so gut es eben geht in Corona-Zeiten. Viele Menschen – ob Christ*innen oder nicht – sind ja fasziniert vom Weihnachtsfest. Denn Weihnachten rührt an unser Innerstes. Wir spüren, dass etwas Geheimnishaftes in diesem Fest steckt, Wir spüren es an der Freude der Kinder, in der Stille, die sich über den Abend legt, oder im Zusammensein mit lieben Menschen. Und es ist so wichtig, in diesen Zeiten etwas zu haben, was uns innerlich berührt, was tröstet, was uns die Ängste nimmt und uns im Herzen guttut.
Ich denke, all dies bewirkt das Weihnachtsfest. Denn das Kind in der Krippe fasziniert, mehr noch, es gelingt ihm, in uns das Gute zu wecken. Deshalb ist das Fest vom Kind in der Krippe nicht nur reine Folklore. Es hat auch nicht nur religiöse Bedeutung. Sondern es ist ein zutiefst humanes Fest. Die Menschlichkeit des Menschen kommt in ihm zum Vorschein. Denn das Kind in der Krippe ist angewiesen auf Schutz. Es braucht andere Menschen, die sich kümmern. Es braucht Menschen, die es schützen vor den todbringenden Gefahren des Lebens. Ohne Maria und Josef, ohne die Menschen, die zur Krippe kommen und nach ihm sehen – wie etwa die Hirten und die Sterndeuter -, wäre es verloren, es würde nicht überleben.
Deshalb hat dieses uralte Fest eine höchst aktuelle Bedeutung. Denn auch in unserer Zeit sind Menschen überall auf der Welt schutzlos. Sie sind unaussprechlichen Gräueln ausgesetzt. Sie werden missbraucht, ausgebeutet und benutzt. Über 80 Millionen Menschen sind auf der Flucht vor Kriegen, vor Hunger und Vertreibung. Eine ganze Generation von jungen Menschen ist entwurzelt, ohne Bildung und Zukunftsperspektive rund um den Globus. Unsere Welt ist verstrickt in eine kranke Logik, die künftige Generationen zum Spielball lebenszerstörender Interessen macht.
An Weihnachten jedoch bietet Gott uns eine andere Logik an. Eine neue Sicht wird geboren, wie wir Menschen heilsam miteinander umgehen können: indem wir das Schwache schützen. Das Kind in der Krippe ruft uns heute zu: „Kehrt zurück zur Menschlichkeit! Spielt Eure Erwachsenenmacht nicht gegen die jungen Generationen aus! Löst Euch aus Euren Festlegungen, die die Welt einteilen in arm und reich, in stark und schwach, in bevorzugt und benachteiligt!“
Ja, Weihnachten heuer wird anders, doch die großen Fragen bleiben. Der Jesuit und Theologe Karl Rahner hat einmal über das Weihnachtsfest gesagt: „Wir haben kein Recht, eine bessere Welt zu fordern, wenn wir die Besserung nicht selbst im eigenen Herzen beginnen. Deshalb: lasst uns heute gut sein. Wenigstens an diesem Tag. Vielleicht merken wir dann, dass es gar nicht so schwer ist, und wir bringen es dann auch im neuen Jahr fertig. Wir können besser sein, als wir von uns denken. Es ist mehr mit uns anzufangen, als wir ahnen. Gott selbst hat es mit diesem Herzen versucht und uns gesagt, dass es geht.“
Wir können besser sein als wir von uns denken: Nehmen wir diese göttliche Logik von Weihnachten an! Wachsen wir über uns hinaus, indem wir die Humanität verteidigen und die Würde des Menschen retten!
Liebe Leserinnen und Leser, wo und wie auch immer Sie heuer Weihnachten feiern: ich wünsche Ihnen, dass es außergewöhnlich wird und dass Sie etwas vom Geheimnis der Heiligen Nacht und von seinem tiefen humanen Sinn im eigenen Herzen spüren können.

Dr. Monika Tremel

Autorin/Autor:
Pastoralreferentin Dr. Monika Tremel
Offene Tür Erlangen
24.12.2020 (Woche 52/20)