Selbsthilfe

Der evangelische Dekan Peter Huschke hat mir mal eine Begegnung erzählt, bei der sich Menschen gegenseitig die Augen für die Selbsthilfe öffnen. 
„Eine ältere Dame war mit ihrem Fahrrad an der Regnitz unterwegs, als ich dort spazieren war. Sie sah zwei Bierflaschen am Wegrand stehen, hielt an und wollte sie kurzerhand einsammeln und in den Müll werfen. Da meldete sich ein Obdachloser, der da meist sitzt zu Wort: „Ich habe die aber extra für den Kollegen hingestellt, der hier täglich vorbeikommt. Der lebt von dem Flaschenpfand.“ Die alte Dame stellte die Flaschen gern wieder ab.“
Peter Huschke hat mit dieser erlebten Geschichte verbunden, dass es einen klaren Blick braucht für das, was gerade wirklich nötig ist. Müll wegräumen war gut, jemandem mit dem liegen lassen helfen aber noch besser.

Das ist nur ein ganz kleines Beispiel gelebter Nächstenliebe. Wir als Diakonie sind da in unseren Einrichtungen oft an wesentlich existentielleren Nöten und Sorgen dran und sind gehalten, hochprofessionell einzugreifen, zu helfen, zu beraten, zu unterstützen. Auch da braucht es einen klaren Blick auf das Notwendige. Neben der Professionalität aber ganz oft auch das, was im Matthäusevangelium steht: „Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“ (Matthäus 6,21). Ich freue mich, wenn unser diakonisches Herz für die uns anvertrauten Menschen, die unser „Schatz“ sind, in unserem Verbund immer wieder spürbar wird. Wir merken im Vorstand deutlich, dass unsere Mitarbeitenden Menschen und deren Nöte sehen und oft leidenschaftlich für sie da sein möchten. Das imponiert uns und wir wünschen Gottes Segen für diesen Blick und das Herz für die Menschen und deren Bedürfnisse.
Und tatsächlich ist es gleichgültig, ob es professionelle Zuwendung oder gelebte Nächstenliebe im Alltag ist. Die Hilfe im Leben, die man jemandem gibt ist das Entscheidende.
Gerade in dieser Zeit sind es oft nur Kleinigkeiten, die nötig sind, sogar buchstäblich notwendig: Verständnis, Geduld, Ruhe, Einsicht. Jemandem zuhören vielleicht, oder zur Beruhigung der Lage beitragen. 
Der klare Blick für das Notwendige orientiert sich nicht an dem, was ich gerade will. Es ist eher, das, was hilft, was jemanden voranbringt. Das meinte ich mit dem Schatz, an dem das eigene Herz hängt.
Dahinter verbirgt sich der kirchliche Begriff der „Nächstenliebe“. Und die Bibel bringt sie gleich ins richtige Lot: Nächstenliebe, Selbstliebe und Gottesliebe sind in ihren Worten die Lösung. Wenn man eines davon rausnimmt wird es schräg: nur sich und seine Bedürfnisse sehen; nur den anderen sehen und sich vernachlässigen; das ist beides auf Dauer nicht gut, nicht richtig.
Aus christlicher Sicht kommt noch dazu Gott zu lieben. Das bewahrt einen davor, nur in den akuten Bedürfnissen stehen zu bleiben. Gott lieben kann den Blick für das Ganze, die Zeit, die Welt, die Ewigkeit öffnen.
Vielleicht gelingt es uns, die Welt ein wenig besser zu machen, wenn unsere Herzen an der Liebe zu uns selbst, an der Liebe zu den anderen Menschen und an der Liebe zu Gott hängen.

Matthias Ewelt

Autorin/Autor:
Pfarrer Matthias Ewelt
Vorstandssprecher der Diakonie Erlangen
07.11.2020 (Woche 45/20)