Die Waffen des Lichts- von einem musikalischen Ohrwurm der zum Nachdenken anregt

Da ist er wieder. Und ganz schön aufdringlich: der Ohrwurm. Eingefangen bei der letzten Chorprobe, seit das Singen nicht mehr zu den gefährlichsten Freizeitbeschäftigungen überhaupt zählt. Aus Felix Mendelssohns Lobgesang verfolgt mich seitdem die harmlos klingende Zeile: „und anlegen die Waffen des Lichts“. Klingt zunächst ziemlich esoterisch und vermutlich ist auch kein Lichtschwert aus Star Wars gemeint. Aber fällt Ihnen dazu spontan noch etwas anderes ein? Mit den Waffen des worldwidewebs finden sich mehrere Erklärungen:
Felix Mendelssohn Bartholdy hat seinen Lobgesang als Auftragskomposition der Stadt Leipzig anlässlich der Vierhundertjahrfeier der Erfindung der Buchdruckerkunst durch Johannes Gutenberg komponiert. Die verwendeten Bibelzitate haben drei Hauptthemen: Das Lob Gottes, Gottes Treue zu denen, die auf ihn hoffen – ja und schließlich der Aufstieg des Volkes aus der Finsternis zum Licht. Gedruckten Werke und die erste gedruckte Bibel führen die Christenheit aus dem finsteren Zeitalter der Unwissenheit in eine neue Epoche der Erleuchtung.
Schön wär´s ist man versucht nachzulegen! Die Epoche der Erleuchtung lässt irgendwie immer noch auf sich warten. Oder begegnen Ihnen im Alltag tatsächlich so viele Erleuchtete? Im Römerbrief schreibt Paulus davon „die Waffen des Lichtes anzulegen – und zuvor die Werke der Finsternis abzulegen“. Diese kann ich mir schon viel besser vorstellen, wenn ich mich in unserer Welt umsehe. Finsternis scheint übermächtig. 
Ich stelle mir gerade unsere Politiker bei den Koalitionsverhandlungen vor, kämpfend mit den „Waffen des Lichts“: Für die Erhaltung der Schöpfung, für Gerechtigkeit und Teilhabe aller Menschen an fairen Produktionsbedingungen, für Solidarität unter den Menschen … Und wie müsste meine eigene katholische Kirche eine Auseinandersetzung um die Zukunft unserer Kirche mit den Waffen des Lichtes führen - wie beispielsweise an diesem Wochenende bei den Beratungen des Synodalen Weges? Alles nur blanker Unsinn oder unrealistische Utopie? Und vor allem: wie sollen sie denn ausschauen, diese „Waffen des Lichts? Ich fürchte diese Frage müssen Sie für sich selbst beantworten. 
Mendelssohns Lobgesang endet mit einer großen Verheißung, einer aus Not und Trübsal erretteten Welt, dem Triumph des Lichts über die Dunkelheit. Wir können dazu beitragen: Wenn wir bereit sind uns auf das zu konzentrieren, was gelingendes Leben für uns und den Nächsten ausmacht, wenn wir das Wertvolle und Helle in unserem Leben sehen. 
Für Mendelssohn war der „Lobgesang“ übrigens ein Wendepunkt nach einer eineinhalb Jahrzehnte währenden Schaffenskrise. Und nicht unerwähnt bleiben soll auch, dass auch Musiker nicht immer mit den Waffen des Lichts miteinander umgingen. Richard Wagner nannte es ein „Stück von blödester Unbefangenheit!“ Aber vielleicht haben Sie ja bald die Gelegenheit, diese Musik auf sich wirken zu lassen und sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen. Eine Aufführung in der Altstädter Kirche in Erlangen ist für den Herbst geplant. Es muss ja nicht gleich ein Ohrwurm sein, den Sie mit nach Hause nehmen. Aber falls doch – dann lohnt es sich auf jeden Fall darüber nachzudenken! 

Klaus Koschinsky
Bildrechte privat

Autorin/Autor:
Klaus Koschinsky
Palliativmediziner und Pfarrgemeinderat-Vorsitzender
Herz Jesu Erlangen
02.10.2021 (Woche 39/21)