Sola Fide oder Solo Fide

Wir erleben seit vielen Jahrzehnten eine zunehmende Individualisierung und zugleich eine Privatisierung des Glaubens. Früher waren antike Gesellschaften geprägt vom Gedanken des Kollektivs. Der Mensch war Teil einer Familie, einer Sippe oder eines Stammes. Sein Schicksal war untrennbar verbunden mit dem Schicksal dieses Kollektivs. Auch Menschen der Bibel haben Glauben als kollektive Erfahrung verstanden. Betet ein König Götzen an, folgt ihm das ganze Volk in den Götzendienst.

Und der Segen der Väter geht auf die Nachkommen über. Martin Luther entdeckte in der Reformation, daß es neben dieser kollektiven Erfahrung auch den ganz persönlichen Glauben braucht. Sein berühmtes sola fide (allein aus Glauben) meint, dass der persönliche Glaube entscheidend ist. Nicht der Glaube der Kirche oder des Fürsten, sondern des einzelnen Menschen.

Mit der Aufklärung und Entstehung von Privateigentum vollzieht sich ein nächster Schritt: aus Persönlich wird Privat und aus Kollektiv wird Individuell. Wenn es bei persönlich darum ging, Dinge bewusst von Herzen zu tun, geht es bei privat vor allem darum, die Dinge für sich selbst zu tun. Die Frage ist jetzt vor allem was es mir bringt. Ich mache es für mich, losgelöst vom Kollektiv, eben privat. Was ich mache geht niemanden etwas an und ich mache es auf meine ganz eigene Art und Weise.

Und ab hier bekommt der Glaube Schieflage. Glaube und Christusnachfolge waren nie als etwas Privates oder Individuelles gedacht. Sie waren als etwas Kollektives und trotzdem Persönliches gedacht. Auch heute kann diese Privatisierung des Glaubens zum Problem werden: Menschen verabschieden sich, weil sie Gemeinde nicht mehr brauchen. Sie entwickeln sich zu geistlichen Selbstversorgern und kochen ihr eigenes Süppchen. Und oft dauert es nicht lange, bis gar nicht mehr gekocht wird und zentrale Aspekte des Glaubens total abgemagert sind. Ich kann nachvollziehen, wenn sich Menschen aus einer zu starken Umklammerung und Bevormundung durch christliche Gemeinschaft lösen müssen. Aber in vielen Fällen geht es nicht um diesen notwendigen Loslösungsprozess, sondern um das Diktat, sich nur durch die Lösung vom Kollektiv als Individuum erleben zu können.

Vor einiger Zeit starb ein Mann in unserer Gemeinde nur acht Wochen nach seiner Krebsdiagnose. Ehemann und Vater von drei Söhnen. Spätestens jetzt merkt man, dass solch ein Schicksalsschlag zwar sehr persönlich ist, aber bitte nicht privat! Das sind doch die Momente, wo wir füreinander da sind, einander tragen, begleiten, trösten und auffangen. Genau jetzt braucht es das Kollektiv als Therapeutikum einer drohenden Einsamkeit. Am Ende kann man allerdings nicht mehr vom Beziehungskonto abheben, als man zuvor eingezahlt hat. Die biblischen Bilder für das christliche Leben sind immer kollektive Bilder: Herde, Leib, Volk, Geschwister usw. Denn sonst wird ein privater Glaube ganz schnell ein einsamer Glaube: solo fide. 
 

Pastor Martin Benz

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